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1 Einleitung
Das Belebtschlammverfahren ist das am weitesten verbreitete Verfahren zur Reinigung kommunaler Abwässer. Die Qualität des Ablaufwassers ist sehr stark von der Effizienz der Fest-Flüssig-Trennung im Nachklärbecken abhängig. Diese ist nur hoch, wenn die Bildung von Belebtschlammflocken im Belebungsbecken ungestört funktioniert.
Das ist allerdings nicht immer der Fall.
Die Fest/ Flüssig-Trennung im Nachklärbecken kann durch folgende Faktoren nachhaltig beeinträchtig werden:
• | Blähschlamm (per Definition ist das ein Belebtschlamm, der einen Schlammvolumenindex von > 150 ml/g aufweist) |
• | Gestörte Flockenbildung (ungünstige Wasserchemie, Vergiftungen) |
• | Flockenzerstörung durch Pumpen, Rührer, Klappen etc. |
• | Hydraulische Mängel und Fehlplanungen (z.B. im Kanal, an Verteilerbauwerken, an Nachklärbecken, an Rücklaufschlamm- und Rezirkulationsbauwerken etc.) |
• | Betriebsstörungen (verstopfte Leitungen, defekte Pumpen, Steuerungsfehler etc.) |
Im Rahmen dieses Vortrags soll die Blähschlammproblematik im Rückblick, aktuell und im Ausblick näher beleuchtet werden. Blähschlamm wird fast immer durch Fadenbakterien verursacht, jedoch ist deren Entstehung in den meisten Fällen von mehreren Faktoren abhängig, so dass sich die oben genannten Probleme sehr häufig gegenseitig beeinflussen bzw. bedingen. Das bedeutet aber auch, dass die Gegenmaßnahmen gegen Blähschlamm an allen oben genannten Faktoren ansetzen können und sich nicht z.B. auf eine Chemikaliendosierung beschränken sollten.
2 Blähschlamm
Wie bereits oben erwähnt versteht man unter „Blähschlamm“ einen Belebtschlamm mit einem Schlammindex > 150 ml/g.
Schlammindices > 150 müssen jedoch nicht unbedingt zu Schlammabtrieb o.ä. Betriebsproblemen führen. Das hängt sehr von den hydraulischen Gegebenheiten einer Kläranlage ab. Für manche Kläranlagen ist ein Schlammindex > 100 ml/g bereits ein Problem, andere Anlagen kommen mit Schlammindices > 200 immer noch gut zurecht.
Entscheidend für den Erfolg einer Kläranlage ist immer die Güte der Fest/Flüssig-Trennung im Nachklärbecken. Diese muss möglichst bei allen Wetterlagen und in allen Jahreszeiten gut funktionieren, sonst kommt es sehr leicht zu Grenzwertüberschreitungen bzgl. Phosphor und BSB5 bzw. CSB durch abtreibende Belebtschlammflocken. Bei länger andauerndem Schlammabtrieb können auch für die Abwasserreinigung wichtige Bakterien verloren gehen (z.B. Nitrifikanten, Spezialbakterien für den Abbau schwer abbaubarer Verbindungen wie z.B. Tensiden, Öl, etc.). Da diese Spezialisten in der Regel langsam wachsen, ist ein Verlust dieser Bakterien häufig die Ursache mehrwöchiger Betriebsstörungen. Daher ist jeder Suspansa- bzw. Schlammabtrieb ein sehr ernstzunehmendes Problem und möglichst sofort einzudämmen.
2.1 Ursachen für Blähschlamm
Blähschlamm wird fast immer durch Fadenbakterien verursacht. Wie wir aus unserer inzwischen über zehnjährigen Erfahrung wissen, sind die von uns festgestellten Fadenbakterienarten und deren Eigenschaften einem ständigen Wandel unterworfen, der wiederum mit den auf den Kläranlagen eingestellten Betriebsbedingungen direkt in Verbindung zu bringen ist.
Bevor fast alle Kläranlagen mit Nitrifikation/ Denitrifikation (3. Reinigungsstufe) ausgerüstet wurden, dominierten ganz andere Fadenbakterienarten die Belebtschlämme als heutzutage, wo z.B. das Thema „Energieeffizeinz“ allgegenwärtig ist.
Vor der Umrüstung auf die 3. Reinigungsstufe wurde Blähschlamm sehr häufig von so genannten „Hochlast-Fadenbakterien“ verursacht. Diese wachsen z.B. bei:
• | Sauerstoffmangel, |
• | hoher Schlammbelastung (> 0,15 kg BSB5/kg TS *d), |
• | niedrigem Schlammalter, |
• | gestörtem C:N:P-Verhältnis im Zulauf, |
• | schlechter Durchmischung der Belebungsbecken, |
• | Einleitung angefaulten Abwassers, |
• | generell gestörter Flockenbildung, |
• | ungünstigem Ca/Na-Verhältnis, |
• | dispergierenden Abwasserinhaltsstoffen (Desinfektionsmittel, Tenside). |
Hochlast-Fadenbakterien sind u.a. Typ 021 N, Sphaerotilus natans, Thiothrix, Beggiatoa. In kommunalen Kläranlagen findet man diese Fadenbakterienarten nur noch selten und nur dann, wenn man Hochlaststufen (z.B. bei A/B-Anlagen) oder Kläranlagen mit hohem Industrieabwasseranteil untersucht (Lebensmittel, Weinbau etc.).
Mit der flächendeckenden Inbetriebnahme der 3. Reinigungsstufe wurden aufgrund der für die Stickstoffelimination notwendigen Betriebsparameter mit Schlammbelastungen < 0,12 kg BSB5/kg TS*d und relativ langen/ großen unbelüfteten Zeiten/ Zonen andere Fadenbakterienarten dominant. Dazu gehören Microthrix parvicella, Nocardioforme Actinomyceten, Nostocoida limicola, alle Fadenbakterien der Chloroflexi-Gruppe (Typ 0041, Typ 1851 etc.) und auch völlig neue, in der einschlägigen Fachliteratur bisher nicht beschriebene Arten wie Alphaproteobakterien (z.B. Alysiosphaera), die erst durch die Anwendung von Gensonden von den bisher bekannten Fadenbakterien unterschieden werden konnten. Schwachlast-Fadenbakterien profitieren von:
• | hohem Schlammalter, |
• | niedriger Schlammbelastung (< 0,12 kg BSB5/kg TS*d), |
• | hoher Verdünnung durch Fremdwasser, Niederschläge etc., |
• | zu langen unbelüfteten Zeiten (Fuzzy-Regler), |
• | niedrigen Sauerstoffgehalten (Stromeinsparung), |
• | Bio-P, |
• | Fällmitteleinsparung, |
• | dispergierenden Abwasserinhaltsstoffen (Desinfektionsmittel, Tenside), |
• | ungünstigem Ca/Na-Verhältnis, |
• | niedriger Säurekapazität bzw. weichem Wasser, |
• | Komplexbildnern im Abwasser (Spülmaschinentabs etc.), |
• | ????? |
Wie man sieht ist die obenstehende Liste der möglichen Selektionsfaktoren lang und einen Großteil dieser Faktoren hat man als Betreiber selber in der Hand.
Daher sind Fadenbakterienprobleme heutzutage sehr häufig „hausgemacht“, weil man z.B. versucht Strom zu sparen oder die Stickstoff-Einleitwerte so weit wie möglich zu senken. Um diese Ziele zu erreichen, werden Betriebsbedingungen eingestellt, die den Fadenbakterien unabsichtlich sehr entgegen kommen (hier niedrige Sauerstoffgehalte, lange unbelüftete Zeiten).
Auch die Trinkwasserversorger sind häufig indirekt für die Fadenbakterienprobleme mit verantwortlich, z.B. wenn sie Hartwasserbrunnen stilllegen und den Verbrauchern vermehrt weiches Wasser liefern. Das ist für den Verbraucher gut, aber die Belebtschlammflockenbildung hängt direkt mit dem Calciumgehalt des Abwassers zu-sammen und daher ist Calciummangel eine häufige Ursache für eine gestörte Flockenbildung.
Bei Störungen der Belebtschlammflockenbildung kommt es zu vermehrtem Fadenbakterienwachstum, weil die Natur dann mit Hilfe der Fadenbakterien versucht, den Zusammenhalt der Flocken sicher zu stellen. Damit ist jedoch fast immer ein höherer Schlammindex verbunden, als wenn die Schlammflocke über positive Ionen (v.a. Calcium und Eisen) zusammengehalten wird.
Last but not least sind auch wir alle als Verbraucher mit schuld an der zunehmend schlechter werdenden Belebtschlammqualität, denn in fast allen Haushalten stehen Geschirrspüler, die vermehrt mit Tabs arbeiten (enthalten hohe Mengen an Komplexbildnern), wir bevorzugen weiches Wasser, wir verwenden desinfizierende Waschmittel und Reiniger u.s.w.
2.2 Aktuell relevante Fadenbakterienarten
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Fadenbakterienarten, die wir üblicherweise in den uns zugesandten Proben finden (diese Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
Tabelle 1: Fadenbakterienarten, Selektionsfaktoren und Gegenmaßnahmen
Fadenbakterienart |
Hoch- oder Schwachlast (HL/SL) |
Typische Ursachen |
indirekte Gegenmaßnahmen |
direkte Gegenmaßnahmen |
Alphaproteobakterien allgemein | ??? | ??? | evtl. PAC ??? | ??? |
Alysiosphaera (ein Vertreter der Alphaproteobakterien) |
tendenziell HL | niedrige Temperaturen; hohes C:N:P-Verhältnis |
oft nicht notwendig, da Alysiosphaera meist nur in den Flocken wächst |
Sulfidfällung im Zulauf zur Biologie, P- oder N-Dosierung |
Beggiatoa, Thiothrix, Typ 021 N | HL (Schwefel) | reduzierte Schwefelverbindungen, Sauerstoffmangel, Totzonen, gestörtes C:N:P-Verhältnis |
Beseitigung der vorgenannten Ursachen |
|
Chloroflexi (Typ 0041/0675; Typ 1851; Typ 0803) |
SL | niedrige Schlammbelastung, lange unbelüftete Zeiten |
meist nicht notwendig, da Chloroflexi in den Flocken wachsne und als „Back-bone-Fäden“ gute Dienste leisten |
PAC, bei zu viel Typ 1851: unbelüftete Zeiten verkürzen |
Haliscomenobacter hydrossis | HL (Schwefel) | Sauerstoffmangel, gestörtes C:N:P-Verhältnis |
Intensivierung der Belüftung |
P- oder N-Dosierung |
Microthrix parvicella | SL | Fett, Tenside, hohes Schlammalter, niedrige Schlammbelastung (< 0,1 kg CSB/kg TS*d), Ammonium- Stoßbelastungen, lange unbelüftete Zeiten, schlechte Flockenbildung, viel Niederschlag, Temperaturstürze, Schneeschmelze etc. |
Erhöhung der Schlammbelastung, vollständige Nitrifikation, höhere Sauerstoffgehalte, dosierte Zugabe der Schlammwässer, Kreide + Eisen (vorbeugend) |
monomere Aluminiumsalze (Aluminiumchlorid, Aluminiumsulfat); PAC sehr häufig unwirksam |
Nocardioforme Actinomyceten | SL | Fett, Tenside, kein freier Abfluss, hohes Schlammalter |
Fettabscheider, Indirekteinleiterkontrolle, Besprühen (Wasser, NaOH) |
kontinuierlicher Schaumabzug, Flockungshilfsmittel, freier Abfluss (Beseitigung von Tauchwänden etc.) |
Nostocoida limicola | tendenziell SL | Molkereiabwasser, Lebensmittelindustrie, hohes C:N-Verhältnis |
oft nicht notwendig, da Nostocoida meist nur in den Flocken wächst |
Eisensalze |
Sphaerotilus natans | HL (Schwefel) | hohe Konzentrationen an leicht abbaubaren Kohlenhydraten, Fettsäuren oder Alkoholen, hohes C:N:P-Verhältnis, Sauerstoffmangel |
Intensivierung der Belüftung |
P- oder N-Dosierung |
Typ 0092 | SL | kurzkettige org. Säuren, hohes Schlammalter, niedrige Schlammbelastung (< 0,1 kg CSB/kgTS*d), Temperatur > 15 °C; hohes C:N-Verhältnis. |
oft nicht notwendig, da Typ 0092 meist nur in den Flocken wächst |
Aluminiumchlorid, Aluminiumsulfat, PAC |
3. Ausblick
Gleich die beiden ersten Fadenbakterienarten (Alysiosphaera, Alphaproteobakterien) entwickeln sich zunehmend zu einem Problem, da sie bisher kaum einer kennt und wenig über die relevanten Selektionsfaktoren bekannt ist. Daher sind auch keine zuverlässigen Gegenmaßnahmen beschrieben.
Die Forschung auf dem Gebiet der Fadenbakterien wurde jedoch -nicht nur in Europa- weitestgehend eingestellt. Mikroskopiert wird auf Kläranlagen immer weniger – manche Bundesländer haben das mikroskopische Bild aus der Selbstüberwachungsverordnung heraus genommen.
Wir stellen aber in unserer Arbeit täglich fest, dass die betrieblichen Probleme mit Fadenbakterien und/oder der Belebtschlammqualität nicht kleiner, sondern immer größer und auch kostenrelevanter werden.
Fadenbakterien und/oder eine schlechte Flockenstruktur führen zu folgenden Problemen:
• | Schlammabtrieb, Suspensabtrieb, |
• | Verlust der Nitrifikanten und anderer „Spezialisten“, |
• | Nitritprobleme, |
• | ineffiziente oder instabile Nitrifikation, |
• | Schaum im Faulturm, |
• | schlechte Ausfaulraten, |
• | hoher Fällmittelverbrauch, |
• | hoher Polymerverbrauch, |
• | schlechte Eindick- und Entwässerbarkeit, |
• | hoher Klärschlammanfall, |
• | hohe Entsorgungskosten, |
• | u.s.w. |
Wir plädieren daher ausdrücklich dafür, die Mikroskopie von Belebtschlamm wieder häufiger durchzuführen und mehr Geld in die Erforschung der biologischen Zusammenhänge auf Kläranlagen zu investieren. Das Einsparpotential, das „glückliche Tierchen“ dem Betreiber von Kläranlagen offerieren, kann sich durchaus mit dem messen, dass Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz zu bieten haben. Das erleben wir fast täglich.
Anschrift des Verfassers:
Kirsten Sölter
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