Sonntag, November 3, 2024
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Blähschlamm – das keinesfalls gelöste Problem! Alte und neue Herausforderungen bei der Einstellung optimaler Belebtschlammeigenschaften

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1 Einleitung
Das Belebtschlammverfahren ist das am weitesten verbreitete Verfahren zur Reinigung kommunaler Abwässer. Die Qualität des Ablaufwassers ist sehr stark von der Effizienz der Fest-Flüssig-Trennung im Nachklärbecken abhängig. Diese ist nur hoch, wenn die Bildung von Belebtschlammflocken im Belebungsbecken ungestört funktioniert.
Das ist allerdings nicht immer der Fall.

Die Fest/ Flüssig-Trennung im Nachklärbecken kann durch folgende Faktoren nachhaltig beeinträchtig werden:

•  Blähschlamm (per Definition ist das ein Belebtschlamm, der einen Schlammvolumenindex von
> 150 ml/g aufweist) 
Gestörte Flockenbildung (ungünstige Wasserchemie, Vergiftungen) 
Flockenzerstörung durch Pumpen, Rührer, Klappen etc. 
Hydraulische Mängel und Fehlplanungen (z.B. im Kanal, an Verteilerbauwerken, an Nachklärbecken, an Rücklaufschlamm- und Rezirkulationsbauwerken etc.) 
Betriebsstörungen (verstopfte Leitungen, defekte Pumpen, Steuerungsfehler etc.) 

Im Rahmen dieses Vortrags soll die Blähschlammproblematik im Rückblick, aktuell und im Ausblick näher beleuchtet werden. Blähschlamm wird fast immer durch Fadenbakterien verursacht, jedoch ist deren Entstehung in den meisten Fällen von mehreren Faktoren abhängig, so dass sich die oben genannten Probleme sehr häufig gegenseitig beeinflussen bzw. bedingen. Das bedeutet aber auch, dass die Gegenmaßnahmen gegen Blähschlamm an allen oben genannten Faktoren ansetzen können und sich nicht z.B. auf eine Chemikaliendosierung beschränken sollten.

2 Blähschlamm
Wie bereits oben erwähnt versteht man unter „Blähschlamm“ einen Belebtschlamm mit einem Schlammindex > 150 ml/g.

Schlammindices > 150 müssen jedoch nicht unbedingt zu Schlammabtrieb o.ä. Betriebsproblemen führen. Das hängt sehr von den hydraulischen Gegebenheiten einer Kläranlage ab. Für manche Kläranlagen ist ein Schlammindex > 100 ml/g bereits ein Problem, andere Anlagen kommen mit Schlammindices > 200 immer noch gut zurecht.

Entscheidend für den Erfolg einer Kläranlage ist immer die Güte der Fest/Flüssig-Trennung im Nachklärbecken. Diese muss möglichst bei allen Wetterlagen und in allen Jahreszeiten gut funktionieren, sonst kommt es sehr leicht zu Grenzwertüberschreitungen bzgl. Phosphor und BSB5 bzw. CSB durch abtreibende Belebtschlammflocken. Bei länger andauerndem Schlammabtrieb können auch für die Abwasserreinigung wichtige Bakterien verloren gehen (z.B. Nitrifikanten, Spezialbakterien für den Abbau schwer abbaubarer Verbindungen wie z.B. Tensiden, Öl, etc.). Da diese Spezialisten in der Regel langsam wachsen, ist ein Verlust dieser Bakterien häufig die Ursache mehrwöchiger Betriebsstörungen. Daher ist jeder Suspansa- bzw. Schlammabtrieb ein sehr ernstzunehmendes Problem und möglichst sofort einzudämmen.

2.1 Ursachen für Blähschlamm
Blähschlamm wird fast immer durch Fadenbakterien verursacht. Wie wir aus unserer inzwischen über zehnjährigen Erfahrung wissen, sind die von uns festgestellten Fadenbakterienarten und deren Eigenschaften einem ständigen Wandel unterworfen, der wiederum mit den auf den Kläranlagen eingestellten Betriebsbedingungen direkt in Verbindung zu bringen ist.

Bevor fast alle Kläranlagen mit Nitrifikation/ Denitrifikation (3. Reinigungsstufe) ausgerüstet wurden, dominierten ganz andere Fadenbakterienarten die Belebtschlämme als heutzutage, wo z.B. das Thema „Energieeffizeinz“ allgegenwärtig ist.

Vor der Umrüstung auf die 3. Reinigungsstufe wurde Blähschlamm sehr häufig von so genannten „Hochlast-Fadenbakterien“ verursacht. Diese wachsen z.B. bei:

Sauerstoffmangel, 
hoher Schlammbelastung (> 0,15 kg BSB5/kg TS *d), 
niedrigem Schlammalter, 
gestörtem C:N:P-Verhältnis im Zulauf, 
schlechter Durchmischung der Belebungsbecken, 
Einleitung angefaulten Abwassers,  
generell gestörter Flockenbildung, 
ungünstigem Ca/Na-Verhältnis,  
dispergierenden Abwasserinhaltsstoffen (Desinfektionsmittel, Tenside). 

Hochlast-Fadenbakterien sind u.a. Typ 021 N, Sphaerotilus natans, Thiothrix, Beggiatoa. In kommunalen Kläranlagen findet man diese Fadenbakterienarten nur noch selten und nur dann, wenn man Hochlaststufen (z.B. bei A/B-Anlagen) oder Kläranlagen mit hohem Industrieabwasseranteil untersucht (Lebensmittel, Weinbau etc.).

Mit der flächendeckenden Inbetriebnahme der 3. Reinigungsstufe wurden aufgrund der für die Stickstoffelimination notwendigen Betriebsparameter mit Schlammbelastungen < 0,12 kg BSB5/kg TS*d und relativ langen/ großen unbelüfteten Zeiten/ Zonen andere Fadenbakterienarten dominant. Dazu gehören Microthrix parvicella, Nocardioforme Actinomyceten, Nostocoida limicola, alle Fadenbakterien der Chloroflexi-Gruppe (Typ 0041, Typ 1851 etc.) und auch völlig neue, in der einschlägigen Fachliteratur bisher nicht beschriebene Arten wie Alphaproteobakterien (z.B. Alysiosphaera), die erst durch die Anwendung von Gensonden von den bisher bekannten Fadenbakterien unterschieden werden konnten. Schwachlast-Fadenbakterien profitieren von:

hohem Schlammalter, 
niedriger Schlammbelastung (< 0,12 kg BSB5/kg TS*d), 
hoher Verdünnung durch Fremdwasser, Niederschläge etc., 
zu langen unbelüfteten Zeiten (Fuzzy-Regler), 
niedrigen Sauerstoffgehalten (Stromeinsparung), 
Bio-P, 
Fällmitteleinsparung, 
dispergierenden Abwasserinhaltsstoffen (Desinfektionsmittel, Tenside), 
ungünstigem Ca/Na-Verhältnis, 
niedriger Säurekapazität bzw. weichem Wasser, 
Komplexbildnern im Abwasser (Spülmaschinentabs etc.), 
????? 

Wie man sieht ist die obenstehende Liste der möglichen Selektionsfaktoren lang und einen Großteil dieser Faktoren hat man als Betreiber selber in der Hand.

Daher sind Fadenbakterienprobleme heutzutage sehr häufig „hausgemacht“, weil man z.B. versucht Strom zu sparen oder die Stickstoff-Einleitwerte so weit wie möglich zu senken. Um diese Ziele zu erreichen, werden Betriebsbedingungen eingestellt, die den Fadenbakterien unabsichtlich sehr entgegen kommen (hier niedrige Sauerstoffgehalte, lange unbelüftete Zeiten).

Auch die Trinkwasserversorger sind häufig indirekt für die Fadenbakterienprobleme mit verantwortlich, z.B. wenn sie Hartwasserbrunnen stilllegen und den Verbrauchern vermehrt weiches Wasser liefern. Das ist für den Verbraucher gut, aber die Belebtschlammflockenbildung hängt direkt mit dem Calciumgehalt des Abwassers zu-sammen und daher ist Calciummangel eine häufige Ursache für eine gestörte Flockenbildung.

Bei Störungen der Belebtschlammflockenbildung kommt es zu vermehrtem Fadenbakterienwachstum, weil die Natur dann mit Hilfe der Fadenbakterien versucht, den Zusammenhalt der Flocken sicher zu stellen. Damit ist jedoch fast immer ein höherer Schlammindex verbunden, als wenn die Schlammflocke über positive Ionen (v.a. Calcium und Eisen) zusammengehalten wird.

Last but not least sind auch wir alle als Verbraucher mit schuld an der zunehmend schlechter werdenden Belebtschlammqualität, denn in fast allen Haushalten stehen Geschirrspüler, die vermehrt mit Tabs arbeiten (enthalten hohe Mengen an Komplexbildnern), wir bevorzugen weiches Wasser, wir verwenden desinfizierende Waschmittel und Reiniger u.s.w.

2.2 Aktuell relevante Fadenbakterienarten
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Fadenbakterienarten, die wir üblicherweise in den uns zugesandten Proben finden (diese Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):

Tabelle 1: Fadenbakterienarten, Selektionsfaktoren und Gegenmaßnahmen

Fadenbakterienart
Hoch- oder
Schwachlast (HL/SL)
Typische Ursachen
indirekte
Gegenmaßnahmen
direkte
Gegenmaßnahmen
Alphaproteobakterien allgemein  ???  ???  evtl. PAC ??? ??? 
Alysiosphaera (ein Vertreter der
Alphaproteobakterien)
tendenziell HL niedrige Temperaturen;
hohes C:N:P-Verhältnis
oft nicht notwendig, da
Alysiosphaera meist nur
in den Flocken wächst
Sulfidfällung im Zulauf zur Biologie, P- oder N-Dosierung
Beggiatoa, Thiothrix, Typ 021 N HL (Schwefel) reduzierte
Schwefelverbindungen,
Sauerstoffmangel,
Totzonen, gestörtes C:N:P-Verhältnis
Beseitigung der
vorgenannten Ursachen
 
Chloroflexi (Typ 0041/0675; Typ
1851; Typ 0803)
SL niedrige
Schlammbelastung, lange unbelüftete Zeiten
meist nicht notwendig,
da Chloroflexi in den
Flocken wachsne und
als „Back-bone-Fäden“
gute Dienste leisten
PAC, bei zu viel Typ
1851: unbelüftete Zeiten
verkürzen
Haliscomenobacter hydrossis  HL (Schwefel) Sauerstoffmangel,
gestörtes C:N:P-Verhältnis
Intensivierung der
Belüftung
P- oder N-Dosierung
Microthrix parvicella SL Fett, Tenside, hohes
Schlammalter, niedrige
Schlammbelastung (< 0,1 kg CSB/kg TS*d),
Ammonium-
Stoßbelastungen, lange
unbelüftete Zeiten,
schlechte Flockenbildung,
viel Niederschlag,
Temperaturstürze, 
Schneeschmelze etc.
Erhöhung der
Schlammbelastung,
vollständige Nitrifikation,
höhere
Sauerstoffgehalte,
dosierte Zugabe der
Schlammwässer, Kreide
+ Eisen (vorbeugend)
monomere
Aluminiumsalze
(Aluminiumchlorid,
Aluminiumsulfat); PAC sehr häufig unwirksam
Nocardioforme Actinomyceten  SL Fett, Tenside, kein freier
Abfluss, hohes
Schlammalter
Fettabscheider,
Indirekteinleiterkontrolle,
Besprühen (Wasser, NaOH)
kontinuierlicher
Schaumabzug,
Flockungshilfsmittel, 
freier Abfluss
(Beseitigung von
Tauchwänden etc.)
Nostocoida limicola tendenziell SL Molkereiabwasser,
Lebensmittelindustrie,
hohes C:N-Verhältnis
oft nicht notwendig, da
Nostocoida meist nur in
den Flocken wächst 
Eisensalze
Sphaerotilus natans HL (Schwefel) hohe Konzentrationen an leicht abbaubaren
Kohlenhydraten, Fettsäuren
oder Alkoholen, hohes
C:N:P-Verhältnis,
Sauerstoffmangel
Intensivierung der
Belüftung
P- oder N-Dosierung
Typ 0092 SL  kurzkettige org. Säuren,  hohes Schlammalter,
niedrige Schlammbelastung
(< 0,1 kg CSB/kgTS*d),
Temperatur > 15 °C; hohes  C:N-Verhältnis.
oft nicht notwendig, da
Typ 0092 meist nur in
den Flocken wächst
Aluminiumchlorid,
Aluminiumsulfat, PAC

3. Ausblick
Gleich die beiden ersten Fadenbakterienarten (Alysiosphaera, Alphaproteobakterien) entwickeln sich zunehmend zu einem Problem, da sie bisher kaum einer kennt und wenig über die relevanten Selektionsfaktoren bekannt ist. Daher sind auch keine zuverlässigen Gegenmaßnahmen beschrieben.

Die Forschung auf dem Gebiet der Fadenbakterien wurde jedoch -nicht nur in Europa- weitestgehend eingestellt. Mikroskopiert wird auf Kläranlagen immer weniger – manche Bundesländer haben das mikroskopische Bild aus der Selbstüberwachungsverordnung heraus genommen.

Wir stellen aber in unserer Arbeit täglich fest, dass die betrieblichen Probleme mit Fadenbakterien und/oder der Belebtschlammqualität nicht kleiner, sondern immer größer und auch kostenrelevanter werden.

Fadenbakterien und/oder eine schlechte Flockenstruktur führen zu folgenden Problemen:

Schlammabtrieb, Suspensabtrieb, 
Verlust der Nitrifikanten und anderer „Spezialisten“, 
Nitritprobleme, 
ineffiziente oder instabile Nitrifikation, 
Schaum im Faulturm, 
schlechte Ausfaulraten, 
hoher Fällmittelverbrauch, 
hoher Polymerverbrauch, 
schlechte Eindick- und Entwässerbarkeit, 
hoher Klärschlammanfall, 
hohe Entsorgungskosten, 
u.s.w. 

Wir plädieren daher ausdrücklich dafür, die Mikroskopie von Belebtschlamm wieder häufiger durchzuführen und mehr Geld in die Erforschung der biologischen Zusammenhänge auf Kläranlagen zu investieren. Das Einsparpotential, das „glückliche Tierchen“ dem Betreiber von Kläranlagen offerieren, kann sich durchaus mit dem messen, dass Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz zu bieten haben. Das erleben wir fast täglich.

Anschrift des Verfassers:

Kirsten Sölter

Bioserve GmbH
Rheinhessenstraße 9a
55129 Mainz

Tel.: 06131-28 910-16
Fax: 06131-28 910-17
E-Mail: Soelter@bioserve-gmbh.de