Kirsten Sölter, Felicitas Schulz, Bioserve GmbH, Rheinhessenstraße 9a, 55129 Mainz; soelter@bioserve-gmbh.de; schulz@bioserve-gmbh.de
1. Problemstellung
Das Belebtschlammverfahren ist das am häufigsten eingesetzte Verfahren zur Reinigung kommunaler Abwässer. Bei der Bemessung von Belebungsanlagen wurden in der Vergangenheit relativ statische Schlammalter- und Schlammbelastungsbereiche vom Planer für den Betrieb der Kläranlage vorgegeben. Das Schlammalter wurde so bemessen, dass eine vollständige Nitrifikation bei 10 °C oder 12 °C noch sichergestellt werden kann. Die resultierende Schlammbelastung stellte sich dann in einem Bereich zwischen 0,05 und 0,12 kg BSB5/kg TS*d ein.
Bei der Bemessung der Anlagen werden somit die Parameter Schlammbelastung und Schlammalter für die jeweilige Anlage noch berechnet und festgelegt, im nachfolgenden Betrieb leider aber nur noch von wenigen Kläranlagenbetreibern regelmäßig ermittelt und nachjustiert. Dieser Bericht soll dazu dienen, den Kläranlagenbetreibern den Nutzen der regelmäßigen Ermittlung dieser beiden Parameter zu erläutern und auf die dabei auftretenden Schwierigkeiten und deren Beseitigung einzugehen. Gelingt die optimale Einstellung des Schlammalters, erschließt sich ein erhebliches Einsparpotential, das bei bis zu 1 € pro angeschlossenem EW und Jahr liegen kann.
2. Definition des Schlammalters
Grundsätzlich ist es so, dass bei Belebtschlammanlagen jeweils das oder die Belebungsbecken mit den Einrichtungen zur Belebtschlammrückhaltung – ein System bilden.
Zu den Rückhaltesystemen gehören Absetz- bzw. Nachklärbecken, eingesetzte Membranen oder nachgeschaltete Flotationsbecken. Organismen, die von diesen Einrichtungen nicht zurückgehalten werden, können sich im Belebtschlamm nicht dauerhaft ansiedeln, da das Abwasser in der Regel nach weniger als einem Tag (Abwasserverweilzeit) die Kläranlage wieder verlassen hat. Gelingt der Organismenrückhalt, dann koppelt sich die Schlammverweilzeit von der Abwasserverweilzeit ab. Die mittlere Schlammverweilzeit in einem Belebungsbecken bezeichnet man als „Schlammalter“. Sie gibt an, nach wie vielen Tagen die Belebtschlammmasse im Belebungsbecken rechnerisch einmal komplett ausgetauscht wurde. Berechnet wird das Schlammalter folgendermaßen:
(1)
Gibt man in Formel (1) das gesamte Belebtschlammvolumen [m3] ein, das zur Verfügung steht (Bio P- + Denitrifikations- + Nitrifikationsbecken), so bezeichnet man das Ergebnis als „Gesamtschlammalter“. Darauf sollen sich alle nachfolgenden Betrachtungen beziehen.
Liegt der Gehalt an abfiltrierbaren Stoffen im Ablauf < 5 mg/l, kann die Berechnung folgendermaßen vereinfacht werden:
(2)
Das „aerobe Schlammalter“ bezieht sich nur auf den belüfteten Anteil der Belebung, der jedoch in der Praxis häufig variiert, weil entweder eine intermittierende Belüftung oder so genannte Wechselzonen [Anmerkung: Beckenanteile oder Kaskaden, die mal belüftet werden oder mal nicht] installiert wurden. Wir empfehlen generell einen belüfteten (aeroben) Anteil von mind. 50 % des verfügbaren Beckenvolumens oder der Zeit, weil bei geringeren aeroben Anteilen sehr häufig Fadenbakterienprobleme auftreten.
Aus unserer Sicht ist dabei auch zu bedenken, dass ein „aerober Zustand“ mit einem Sauerstoffgehalt von mindestens 0,8 mg O2/l verbunden sein sollte, da die Eindringtiefe des Sauerstoffs in die Belebtschlammflocken u.a. direkt mit der Sauerstoffkonzentration des umgebenden Wassers korreliert. Ist diese zu gering, kann das Flockeninnere im schlimmsten Fall anaerob sein, was zu einer Schädigung der empfindlichen Nitrifikanten führen könnte.
3. Definition der Schlammbelastung (BTS)
Die Schlammbelastung ist ein Maß für die individuelle Ernährungslage der Belebtschlammorganismen und wird ausgedrückt als
kg CSB oder BSB5 pro kg Belebtschlammtrockenmasse und Tag.
Die Formel zur Berechnung lautet:
(3)
Die Berechnung der Schlammbelastung auf Basis des BSB5 ist eigentlich veraltet, da immer weniger Kläranlagen die aufwändige und langsame BSB5-Analyse durchführen. Wir empfehlen die Berechnung auf Basis des CSB, da dessen Bestimmung schnell und sehr genau ist.
Für nitrifizierende Anlagen mit Faulturm sollte die Schlammbelastung zwischen 0,10 und 0,25 kg CSB/kg TS*d liegen. Unterhalb von 0,10 kg CSB/kg TS*d fängt der Bereich der aeroben Stabilisierung an und oberhalb von 0,25 kann die Nitrifikation gefährdet sein, weil dann die C-abbauenden, schnell wachsenden Bakterien die langsam wachsenden Nitrifikanten aus dem Belebtschlamm verdrängen.
4. Zusammenhang zwischen Schlammalter und Schlammbelastung
Vergleicht man die Berechnung des Schlammalters mit der der Schlammbelastung, so haben beide den Term des Schlammbestandes im Belebungsbecken (VolumenBB * TS-GehaltBB) gemeinsam. Beide Parameter hängen voneinander ab – sie sind umgekehrt proportional, d.h. ein hohes Schlammalter korreliert mit einer niedrigen Schlammbelastung und umgekehrt.
Der Grund dafür ist, dass Belebtschlämme mit einer hohen Schlammbelastung – z.B. Hochlastbelebungen oder so genannte A-Stufen von A/B-Anlagen – sehr viel „Futter“ bekommen und daher schnell wachsen, weil die Bakterien, die den Kohlenstoff abbauen, die aufgenommene Energie zu > 80 % in eigene Körpermasse umsetzen, indem sie sich ca. alle 20 Minuten teilen und somit rasant nachwachsen. Hier dominiert der Baustoffwechsel. Man muss daher bei diesen Anlagen sehr viel Überschussschlamm abziehen, um den Schlammbestand konstant zu halten. Typisch für diese Anlagen ist auch die weitgehende Abwesenheit von „Räubern“, die die Bakterien fressen könnten und sich zum „Fangen“ der Bakterien sehr viel bewegen. Diese „Räuber“ setzen nur noch einen Bruchteil der aufgenommenen Energie in eigene Körpermasse um. Der restliche Teil der Energie wird in Bewegungs- und Wärmeenergie umgewandelt. Hier dominiert der Energiestoffwechsel. Da diese „Räuber“ weitaus komplexere Organismen sind, als die Bakterien, brauchen sie mehr Zeit für die Vermehrung – und damit ein höheres Schlammalter.
Der Übergang vom Bau- (Bakterien) zum Energiestoffwechsel (Räuber) und die damit einhergehende Reduktion des Biomasseanfalls durch „Räuber“ im Belebtschlamm verdeutlicht folgende Grafik:
Abbildung 1: Übergang vom Bau- zum Energiestoffwechsel
Über das mikroskopische Bild lassen sich anhand der festgestellten Organismenarten und deren Anzahl Schlammbelastung und Schlammalter gut abschätzen. Nicht nitrifizierende Anlagen weisen meist nur Bakterien und kleine Geißeltierchen auf und nur ganz vereinzelt Wimpertierchen, Schalenamöben und Nematoden. Die in diesen Anlagen vorkommenden nitrifizierenden Bakterien wachsen im Vergleich zu den Kohlenstoff-abbauenden Bakterien sehr langsam.
In Anlagen, die stabil nitrifizieren, findet man nur vereinzelt kleine Geißeltierchen, dafür aber viele Wimpertierchen, Schalenamöben, vereinzelt Rädertierchen, Sauginfusorien und Nematoden.
In einer Anlage, die eine aerobe Stabilisierung des anfallenden Überschussschlamms und damit ein hohes Schlammalter durchführt, findet man vermehrt Rädertierchen, Bärtierchen, evtl. sogar Öltröpfchenwürmer und Wassermilben.
Einen Überblick über den Zusammenhang zwischen mikroskopischer Auswertung und Schlammalter bzw. Schlammbelastung liefert die folgende Tabelle:
Tabelle 1: Anzeigeorganismen für Schlammalter (gesamt) bzw. Schlammbelastung
Je nach Jahreszeit bzw. Temperatur kann man ab einem Gesamtschlammalter von 4 Tagen mit einer zumindest beginnenden Nitrifikation rechnen. Dann treten die ersten Rädertierchen auf.
Andere Mehrzeller wie Bärtierchen, Wassermilben, Ruderfußkrebse oder Öltröpfchenwürmer sind immer Anzeiger für ein sehr hohes Schlammalter, während das Auftreten von vielen kleinen Zooflagellaten (Geißeltierchen), von kleinen Nacktamöben und Zoogloea eine zumindest zeitweise hohe Schlammbelastung anzeigen.
Das mikroskopische Bild eignet sich somit sehr gut zu einer Überprüfung des angestrebten Schlammalters bzw. der errechneten Schlammbelastung. Stehen Berechnung und mikroskopisches Bild in einem Widerspruch zueinander, ist immer ein Grund dafür vorhanden, dessen Erforschung meist überaus wertvolle Erkenntnisse für den Anlagenbetrieb liefern.
Nahrungskette im Belebtschlamm (vereinfacht)
5. Probleme bei der Ermittlung des Schlammalters
Für eine korrekte Ermittlung des Schlammalters sollten folgende Werte möglichst werktäglich vorliegen (Tagesmittelwerte bzw. Tagessumme):
• TS-Gehalt in den einzelnen Belebungsbecken (TS-Sonde oder Laborwerte)
• TS-Gehalt in den einzelnen Rücklaufschlammströmen (TS-Sonde oder Laborwerte)
• Volumen der vorhandenen Belebungsbecken (Bio-P-, Denitrifikations- und Nitrifikationsstufen)
• Abgezogene Überschussschlammmenge
Vor allem bei kleineren Kläranlagen fehlen oft Möglichkeiten zur Probenahme im Rücklaufschlamm (v.a. bei Kombibecken und unterirdisch verlegten Rücklaufschlammleitungen) und IDM´s zur Messung der abgezogenen Überschussschlammmenge.
Diese Anlagen müssen sich dann mit dem Auslitern der Überschussschlammpumpen und der Mengenermittlung über Pumpenlaufzeiten behelfen – meistens geht das besser als zunächst erwartet.
Für die Ermittlung des Rücklaufschlamm-TS-Gehaltes kann man im Notfall einen Faktor zwischen TS-Gehalt im Belebungsbecken und im Rücklaufschlamm festlegen, der idealerweise zwischen 1,7 und 2,0 liegen sollte.
Wenn man das Rücklaufverhältnis (RV) kennt, kann man den TS-Gehalt des Rücklaufschlamms auch überschlägig berechnen:
(4)
Der TS-Gehalt des Rücklaufschlamms kann im Tagesverlauf stark schwanken. In diesem Fall empfehlen wir die Verwendung einer TS-Sonde im Rücklaufschlamm zur Ermittlung des Tagesmittelwerts für diesen Parameter.
6. Probleme bei der Ermittlung der Schlammbelastung
Laut Formel (3) wird die Schlammbelastung ermittelt, in dem man die Zulauffracht zur Biologie pro Tag durch den Schlammbestand dividiert. Bei Anlagen mit Vorklärung bestimmt man die Zulauffracht zur Biologie pro Tag am besten mit Hilfe einer mengenproportionalen Probenahme im Ablauf der Vorklärung. Bei Anlagen ohne Vorklärung erfolgt dies im Zulauf nach dem Rechen.
Der Schlammbestand kann mit Hilfe von Laborwerten für den TS-Gehalt im Belebungsbecken ermittelt werden. Hier ist keine TS-Sonde erforderlich.
7. Auswirkungen von Schlammalter und Schlammbelastung auf die Belebtschlammstruktur
Mit der flächendeckenden Inbetriebnahme der 3. Reinigungsstufe (Nitrifikation und Denitrifikation) wurden so genannte Schwachlast-Fadenbakterien zu einem großen Problem. Der Grund dafür liegt in den für die Stickstoffelimination notwendigen Betriebsparametern mit Schlammbelastungen < 0,25 kg CSB/kg TS*d und relativ langen/ großen unbelüfteten Zeiten/ Zonen. Zu den Schwachlastfäden gehören Microthrix parvicella, Nocardioforme Actinomyceten, Nostocoida limicola, alle Fadenbakterien der Chloroflexi-Gruppe (Typ 0041, Typ 1851, Typ 0803/0914 etc.) und auch völlig neue, in der einschlägigen Fachliteratur bisher nicht beschriebene Arten. Diese unbekannten Arten können häufig lediglich der Bakterienklasse α‑Proteobakterien zugeordnet und nicht näher bestimmt werden.
Erst durch die Anwendung von Gensonden ist eine Unterscheidung von den unbekannten und bisher bekannten Fadenbakterien möglich.
Schwachlast-Fadenbakterien profitieren von
• einem hohem Schlammalter,
• einer sehr niedrigen Schlammbelastung (< 0,1 kg CSB/kg TS*d),
• einer hohen Verdünnung durch Fremdwasser, Niederschläge, etc.,
• zu langen unbelüfteten Zeiten (Fuzzy-Regler),
• niedrigen Sauerstoffgehalten (Stromeinsparung),
• Bio-P und Fällmitteleinsparung,
• dispergierenden Stoffen (Desinfektionsmittel, Tenside),
• einem ungünstigem Ca/Na-Verhältnis,
• niedriger Säurekapazität bzw. weichem Wasser und
• Komplexbildnern im Abwasser (Spülmaschinentabs etc.).
Wie man sieht, ist die obenstehende Liste der möglichen Selektionsfaktoren lang, aber einen Großteil dieser Faktoren hat man als Betreiber selbst in der Hand.
Zu diesen Faktoren gehören – vor allen anderen – die Parameter Schlammalter und Schlammbelastung. Daher ist es aus unserer Sicht so wichtig, diese Parameter im laufenden Betrieb zu bestimmen und regelmäßig zu hinterfragen, ob die eingestellten Werte noch mit den beabsichtigten Reinigungszielen und Effizienzkriterien zusammenpassen.
8. Temperaturabhängigkeit der Nitrifikanten
Der Stoffwechsel und die Vermehrung von Nitrifikanten sind extrem temperaturabhängig. Das zeigt die folgende Darstellung der maximalen Wachstumsgeschwindigkeit von Ammoniumoxidierern (Nitrosomonas spp.) in Abhängigkeit von der Belebungstemperatur:
Abbildung 2: Maximale Wachstumsgeschwindigkeit der Ammoniumoxidierer (Nitrosomonas spp.) in Abhängigkeit von der Temperatur
Diese Temperaturabhängigkeit ist der Grund dafür, dass das Bemessungsschlammalter von Kläranlagen immer an eine Bemessungstemperatur gebunden ist.
Diese liegt in der Regel bei 12 °C. Bei dieser Temperatur wachsen die Nitrifikanten um den Faktor 0,35 pro Tag, bei 22 °C dagegen um den Faktor 0,94. Das ist 2,7-mal schneller.
Daher ist es immer problematisch, wenn die Nitrifikanten bei niedrigen Temperaturen (Januar – April) aufgrund von Vergiftungen, technischen Störungen oder wegen eines zu niedrigen Schlammalters „abhanden“ kommen. Sie wachsen dann nur sehr langsam nach.
Das Schlammalter sollte somit stets kontrolliert und bewusst eingestellt werden, wobei die Verwendung der Schlammalterfunktion (siehe Abschnitt 9) sehr hilfreich ist.
Deren Verwendung wird im folgenden Kapitel ausführlich erläutert.
9. Schlammalterfunktion
Der Schlammalterfunktion liegt als Haupteinflussgröße die temperaturabhängige Wachstumsgeschwindigkeit der Nitrifikanten (diese „versteckt sich in der temperaturabhängigen Exponentialfunktion) zugrunde und wird mit einem Sicherheitsfaktor multipliziert, der vom gewünschten Reinigungsziel und den auftretenden Schwankungen v.a. des Ammoniumgehalts im Zulauf abhängt.
Die Funktion lautet:
(5)
Als Faustformel für ein optimales Gesamtschlammalter auf Kläranlagen mit Faulturm gilt:
Bei 10 °C: 20 Tage
Bei 15 °C: 15 Tage
Bei 20 °C: 10 Tage
Das kann man sich gut merken.
10. Einstellung des optimalen Schlammalters
Die Frage, welches Schlammalter für welche Kläranlage optimal ist, richtet sich nach dem gewünschten Reinigungsziel und der aktuell anstehenden Belebungstemperatur.
Beispiel 1: Schwachlastbiologie mit Vorklärung; Anlage mit Faulturm, ganzjährige vollständige Nitrifikation erwünscht
Abbildung 3: Schlammalterkurve für eine Kläranlage mit Faulturm
Dies ist ein typisches Beispiel für eine rein kommunale Kläranlage mit Faulturm, die ganzjährig vollständig nitrifizieren möchte. Es gibt keine signifikanten Schwankungen der Ammoniumkonzentration im Zulauf und die Prozesswässer aus der Schlammbehandlung werden gleichmäßig (24/7) zugegeben.
Mit Hilfe der untenstehenden Excel-Tabelle kann man folglich für jeden einzelnen Werktag ausrechnen, wie viel Überschussschlamm man abziehen muss.
Das sieht dann folgendermaßen aus:
TS-GehaltBB: 3 g/l
TS-GehaltRLS: 5,5 g/l
Belebungsvolumen: 4.000 m3
Abzuziehende ÜS-Menge zur Einstellung des optimalen Schlammalters: ???
Abbildung 4: Schlammaltertabelle für eine Kläranlage mit Faulturm
Es ergibt sich eine Überschussschlamm-Abzugsmenge von 120 m3/d.
Beispiel 2: Schwachlastbiologie ohne Vorklärung; Anlage ohne Faulturm, ganzjährige vollständige Nitrifikation + weitgehende aerobe Stabilisierung erwünscht
Abbildung 5: Schlammalterkurve für eine Kläranlage mit aerober Schlammstabilisierung
Dies ist ein typisches Beispiel für eine rein kommunale Kläranlage ohne Faulturm, die ganzjährig vollständig nitrifizieren und möglichst wenig Schlamm entsorgen möchte. Es gibt auch hier keine signifikanten Schwankungen der Ammoniumkonzentration im Zulauf, aber die Prozesswässer aus der Schlammbehandlung werden nur über den Tag verteilt zugegeben, weil es keinen Zwischenspeicher gibt.
Die Berechnung des optimalen Schlammabzugs sieht folgendermaßen aus:
Temperatur im Belebungsbecken: 12 °C
TS-GehaltBB: 3 g/l
TS-GehaltRLS: 5,5 g/l
Belebungsvolumen: 4.000 m3
Abzuziehende ÜS-Menge zur Einstellung des optimalen Schlammalters: ???
Diese Menge wird wieder mit Hilfe der untenstehenden Excel-Tabelle ermittelt, in dem die Überschussschlamm-Abzugsmenge so lange variiert wird, bis erforderliches und tatsächliches Schlammalter am Ende gleich sind. Es wird hier allerdings mit einem Sicherheitsfaktor von 1,7 statt 1,1 gerechnet.
Abbildung 6: Schlammaltertabelle für eine aerobe Stabilisierungsanlage
Es ergibt sich eine Überschussschlamm-Abzugsmenge von 77 m3/d. Das sind infolge der aeroben Schlammstabilisierung 36 % weniger als im Beispiel 2, bei dem der abgezogene Überschussschlamm nach dem Abzug in den Faulschlamm überführt und dort unter Gasgewinnung anaerob stabilisiert (= ausgefault) wird.
Beispiel 3: Hochlastbiologie; keine Nitrifikation erwünscht
Abbildung 7: Schlammalterkurve für eine Hochlastbiologie
Eine reine Hochlastbiologie, wie sie z.B. so genannte A/B-Anlagen aufweisen, dient der Adsorption von Schmutzstoffen an den Belebtschlamm und kann ca. 30-60 % des verfügbaren Kohlenstoffgehalts des Abwassers abbauen. Nitrifizieren soll sie keinesfalls. Daher wird der Sicherheitsfaktor weit unter dem für Nitrifikationsanlagen notwendigen Wert von mind. 1,1 festgelegt. In diesem Beispiel wurde der Wert 0,2 gewählt. Somit läuft das empfohlene Schlammalter je nach Temperatur im Belebungsbecken zwischen 1 und 6 Tagen hin und her.
Diese Menge wird wie gehabt mit Hilfe der untenstehenden Excel-Tabelle ermittelt, indem die Überschussschlamm-Abzugsmenge so lange variiert wird, bis erforderliches und tatsächliches Schlammalter am Ende gleich sind. Es wird hier allerdings mit einem Sicherheitsfaktor von 0,2 statt 1,1 gerechnet.
Abbildung 8: Schlammaltertabelle für eine Hochlastbiologie
Es ergibt sich eine Überschussschlamm-Abzugsmenge von 670 m3/d. Das sind 5,6-mal mehr als im Beispiel 1. Der aus der Hochlastbiologie abgezogene Überschussschlamm hat einen hohen organischen Anteil und wird daher wird sinnvollerweise in einen Faulturm überführt und dort unter Gasgewinnung anaerob stabilisiert.
11. Vorteile der Einstellung des optimalen Schlammalters für das jeweilige Reinigungsziel
In der Praxis treffen wir leider gerade in der warmen Jahreszeit auf viele Kläranlagen, die ein deutlich höheres Schlammalter fahren, als nötig. Eine solche Fahrweise ist vor allem bei Kläranlagen mit Faulturm in Bezug auf den Stromverbrauch für die Belüftung und in Bezug auf den Gas- bzw. Stromertrag ineffizient. Im Hochsommer 2019 lag der „Schlammalterrekord“ der von uns untersuchten Kläranlagen mit Faulturm und 22 °C in der Belebung bei über 50 Tagen. 10 Tage Gesamtschlammalter wären bei 22 °C schon genug gewesen. 4/5 des Belebtschlamms sind auf dieser Anlage somit praktisch unnötig im Kreis gefahren und belüftet worden, bis auch der letzte Rest an ausfaulbaren Inhaltsstoffen „vernichtet“ war. Am Ende des Sommers wies diese Kläranlage so viele Schalenamöben (Arcella spp.) auf, dass kaum noch normaler Belebtschlamm übrig war. Der Belebtschlamm drohte, sich selbst zu eliminieren, was bereits zu einem massiven Einbruch der Nitrifikation geführt hatte. Schalenamöben können nicht nitrifizieren – sie „fressen“ nur ihre „Nachbarn“. Ein ähnliches Phänomen haben wir auch mit einem massenhaften Vorkommen von Öltröpfchenwümern und Bauchhärlingen schon erlebt.
In der kalten Jahreszeit stellen wir hingegen häufig das Gegenteil fest. Da die Kläranlagen in der Vergangenheit für eine Bemessungstemperatur von 10 oder 12 °C bemessen wurden, werden in den Betriebsanleitungen der Anlagen oft auch nur die damit korrespondierenden Mindestschlammalter für 12 °C bzw. 10 °C für den Dauerbetrieb empfohlen. Wenn es kälter als 10 °C wird, können diese Anlagen nicht mehr vollständig nitrifizieren, was zu einem Anstieg der Ammonium- und Nitritkonzentrationen im Ablauf führt.
Abbildung 9: Tatsächliches und erforderliches Schlammalter (SF=1,1;) der Kläranlage B.
Das zu niedrige Schlammalter im Winter führt zwangsläufig zu erhöhten Ammoniumkonzentrationen im Ablauf. Oft sind aber auch die Nitritkonzentrationen erhöht.
Ein zu hohes Schlammalter, wie es in den trockenen Jahren 2018 und 2019 oft gefahren wurde, ist jedoch auch keine Lösung, weil in dieser Zeit die Denitrifikation unter „Futtermangel“ litt und die unbelüfteten Zeiten sehr lang sein mussten. Das ging dann auf Kosten der belüfteten Nitrifikationszeiten, wodurch die Ammoniumablaufkonzentrationen am Ende höher waren.
Abbildung 10: Stickstoffkonzentrationen im Ablauf (Monatsmittel) der Kläranlage B.
Dies ist nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, was passiert, wenn der TS-Gehalt im Belebungsbecken ganzjährig weitgehend konstant gehalten wird.
Abbildung 11: TS-Gehalt im Belebungsbecken (Monatsmittel) der Kläranlage B.
12. Nitrifikation bei niedrigen Temperaturen
Das folgende Beispiel zeigt, dass es auch bei niedrigen Temperaturen im Belebungsbecken möglich ist, vollständig zu nitrifizieren, wenn man die Schlammalterfunktion zur Berechnung der Überschussschlammmenge nutzt.
Die folgende Grafik zeigt das erforderliche und tatsächliche Schlammalter der KA I.
Abbildung 12: Erforderliches und tatsächliches Schlammalter (Monatsmittel) der KA I.
Im Winter gehen die Temperaturen in der Biologie bis auf Werte um 5 °C in der Biologie runter.
Abbildung 13: Belebungstemperaturen (Monatsmittel) der KA I.
Trotzdem gelingt es seit Verwendung der Schlammalterfunktion, ganzjährig zu nitrifizieren, wie die folgende Grafik zeigt.
Abbildung 14: Stickstoffkonzentrationen (Monatsmittel) im Ablauf der KA I.
Wie obige Grafik zeigt, hat die KA I. phasenweise mit den Nitrat-Ablaufkonzentrationen zu kämpfen. Das liegt an einer zu großen Vorklärung. Die Nitrifikation läuft hervorragend.
Dieses Ergebnis kann man jedoch nicht erreichen, indem man ganzjährig den TS-Gehalt konstant hält. Die folgende Grafik zeigt den Verlauf des TS-Gehaltes im Belebungsbecken:
Abbildung 15: TS-Gehalt im Belebungsbecken (Monatsmittel) der KA I.
Man sieht deutlich den ausgeprägten Jahresgang des TS-Gehaltes im Belebungsbecken, wobei anzumerken ist, dass nur 3 von 4 Belebungsbecken in Betrieb sind. Die Nachklärbecken hatten zu keiner Zeit Probleme mit dem Schlammrückhalt – zumal noch eine Filtration nachgeschaltet ist. Die CSB- und P-Konzentrationen im Ablauf der Kläranlage waren somit ebenfalls sehr gut.
Abbildung 16: CSB-Ablaufkonzentrationen (Monatsmittel) der KA I.
Abbildung 17: P-Ablaufkonzentrationen (Monatsmittel) der KA I.
[Anmerkung: Ab Juni 2018 sind die P-Ablaufkonzentrationen geringfügig angestiegen, weil die Aluminiumsulfatdosierung leicht reduziert wurde.]
13. Weitere Erläuterungen zur gezielten Schlammaltereinstellung
Da das auf vielen Kläranlagen gefahrene Schlammalter in der Regel eigentlich nur für die Bemessungstemperatur von 10 oder 12 °C richtig eingestellt ist, ist es bei niedrigeren Temperaturen zu niedrig und bei höheren Temperaturen zu hoch.
Schlammalter zu niedrig:
Ist das Ist-Schlammalter niedriger als das optimale Soll-Schlammalter (möglicherweise bei Zulaufschwankungen und/oder einem zu niedrig gewählten Sicherheitsfaktor), so merkt man das zu allererst an langsam steigenden Ammoniumkonzentrationen im Ablauf. Man hat in der Regel genügend Zeit, das Schlammalter wieder zu korrigieren, sodass es nicht zu Überschreitungen der geforderten Ablaufwerte kommt.
Man sollte jedoch niemals von einem auf den anderen Tag das Soll-Schlammalter um mehr als 30 % unterschreiten, weil der Einbruch der Nitrifikationsleistung dann erheblich deutlicher und auch länger andauernd sein kann. Das passiert vielen Anlagenbetreibern im Frühjahr, wenn zu schnell der „Sommer-TS-Gehalt“ in der Biologie angesteuert wird und es dann unerwartet nochmal kalt wird.
Unterlassen sollte man auch Gewaltaktionen z.B. mit doppeltem Schlammabzug zwecks schneller Absenkung des TS-Gehaltes, da man so mit einem Schlag die Hälfte aller Nitrifikanten und „Räuber“ aus dem System entfernt. Man wird danach einen erheblichen Einbruch der Nitrifikation feststellen und einen massiven Anstieg der Überschussschlammproduktion. Es fehlen dann viele „Räuber“, die ansonsten die Überschussschlammproduktion beschränken. Am Ende kann es passieren, dass der TS‑Gehalt im Belebungsbecken höher ist als zuvor.
Wie untenstehende Grafik zeigt, hätte man bei 20 Tagen Schlammalter einen spezifischen biologischen ÜS-Anfall von
Spez. ÜS-Anfall = 0,6306 * Schlammalter-0,230 = 0,6306*20-0,203 = 0,343 kg TS/kg CSB.
Halbiert man das Schlammalter auf 10 Tage, so steigt die spez. ÜS-Produktion auf
Spez. ÜS-Anfall = 0,6306 * Schlammalter-0,230 = 0,6306*10-0,203 = 0,395 kg TS/kg CSB.
Das ist ein Anstieg um 15 %.
In niedrigeren Schlammalterbereichen ist die Dynamik aufgrund des exponentiellen Schlammwachstums deutlich dramatischer. Das zeigt die folgende Grafik:
Abbildung 18: Spezifischer ÜS-Anfall in Abhängigkeit vom Schlammalter (aus Hartmann, Ludwig: Biologische Abwasserreinigung, Springer Verlag, 1992)
Schlammalter zu hoch:
Ein zu hohes Schlammalter ist vor allem bei Kläranlagen mit Faulturm ungünstig. Mit 1 g TS-Gehalt zu viel in der Belebung verschwendet man 10 % der gesamten Belüftungsenergie. Gleichzeitig sinkt auch noch die Gasausbeute, weil der in den Faulturm überführte Überschussschlamm bereits aerob (teil)stabilisiert wurde. Nach unseren Erfahrungen kann man mit dem Einsatz der Schlammalterfunktion bei Anlagen, die vorher ganzjährig ihr Bemessungsschlammalter gefahren haben, ca. 10-12 % der Belüftungsenergie einsparen und gleichzeitig ca. 8-10 % mehr Strom erzeugen. Da kommt eine ansehnliche Summe zusammen.
Beide Zustände – Schlammalter zu hoch oder zu niedrig – wirken sich auch negativ auf die Fädigkeit aus. Bei einem zu niedrigen Schlammalter können die resultierenden höheren Ammoniumkonzentrationen z.B. das Microthrix-Wachstum förmlich „boosten“, sodass es kein Wunder ist, warum dieser Faden sich auf vielen Kläranlagen im Frühjahr massiv vermehrt.
Microthrix und die anderen typischen Schwachlast-Fadenbakterien wie Typ 0041/0675, Nocardia, Nostocoida und Typ 0092 lieben in der übrigen Zeit natürlich ein eher hohes Schlammalter, weil dies mit einer niedrigen Schlammbelastung verbunden ist. In diesen Fällen fallen Mehrkosten für aluminiumhaltige Fällmittel oder sogar „polymere Ladungsträger“ an, um Schlammabtrieb (z.B. bei Sommergewittern) zu verhindern.
Schlämme mit einem hohen Schlammalter lassen sich aufgrund relativ kleiner Flocken mit einem eher hohen EPS-Gehalt zudem vergleichsweise schlecht maschinell entwässern (http://www.fs-journal.de/Schwerpunktthemen/2010/03_schwerpunktthemen_0410_2.pdf).
14. Zusammenfassung und Empfehlungen
Die möglichst werktägliche Ermittlung von Schlammalter und Schlammbelastung und deren gezielte Einstellung ermöglicht eine ganzjährige vollständige Nitrifikation mit Ammonium-Ablaufkonzentrationen < 1 mg N/l und Nitrit-Ablaufgehalten von < 0,1 mg N/l. Sie schützt die Kleinlebewesen und die Fische vor diesen beiden fischgiftigen Substanzen und sollte im Sinne der guten biologischen Qualität der Gewässer (EU-WRRL) unserer Ansicht nach von jeder Kläranlage angestrebt werden.
Es ist nicht mehr zeitgemäß, den TS-Gehalt in der Belebung von Kläranlagen mit Faulturm ganzjährig weitgehend konstant auf dem Bemessungswert für 10 oder 12 °C zu halten, da das resultierende Schlammalter bei Temperaturen unter 10 °C zu niedrig und bei Temperaturen > 12 °C viel zu hoch für eine vollständige Nitrifikation ist. Ein zu niedriges Schlammalter führt zu einem Einbruch der Nitrifikation und ein zu hohes Schlammalter ist nicht energieeffizient, da es mehr Belüftungsenergie als nötig nach sich zieht und es zu Einbußen bei der Gas- bzw. Stromerzeugung führt. Hier tut sich auf vielen Anlagen ein erhebliches Einsparpotential auf, das nach unseren Erfahrungen in etwa der Anschlussgröße der Kläranlage -gerechnet in € – entspricht. Eine Anlage mit angeschlossenen 50.000 EW kann somit ca. 50.000 € pro Jahr einsparen.
Die gezielte Einstellung von Schlammalter und Schlammbelastung führt regelmäßig auch zu einem Rückgang der Schwachlast-Fadenbakterien.
Microthrix parvicella wird im Winter/ Frühjahr von erhöhten Ammoniumkonzentrationen (> 0,5 mg NH4-N/l) förmlich „geboostet“ und andere Schwachlast-Fadenbakterien wie Chloroflexi oder Typ 0092 werden im Sommer von einem zu hohen Schlammalter stark gefördert.
Ein gut an die Belebungstemperatur angepasstes Schlammalter kann helfen, den Chemikalieneinsatz (Aluminium, Polymere), der zur Bekämpfung dieser Fäden erforderlich sein kann, erheblich zu senken.
Bei aeroben Stabilisierungsanlagen kann ein zu niedriges Schlammalter zu Geruchsproblemen und zu einer schlechteren Entwässerbarkeit führen. Für die Klärschlammvererdung ist ein sehr hohes Schlammalter (Sicherheitsfaktor > 2,0) des eingebrachten Belebtschlamms erforderlich. Das gleiche gilt, wenn die Kläranlage viele schwer abbaubare Substanzen eliminieren muss.
Senkungen des Schlammalters und Erhöhungen der Schlammbelastung sollten immer langsam erfolgen. Maximal 10 % des Ausgangswertes pro Woche sind zu empfehlen, sonst kann es zu erheblichen Betriebsstörungen kommen. Oftmals wird im Frühjahr zu schnell das Schlammalter gesenkt. Dann bricht oftmals die Nitrifikation ein.
Eine zu schnelle Erhöhung der Schlammbelastung z.B. durch Spülstöße, Fäkalannahmen oder Industrieeinleitungen führt ebenfalls oft zu einem – meist vorübergehendem – Verlust der vollständigen Nitrifikation und zu erhöhten CSB-Ablaufwerten.
Die gezielte Einstellung von Schlammalter und Schlammbelastung für die jeweilige Kläranlage und deren Reinigungsziel ist eine wichtige Voraussetzung zur Vermeidung der häufigsten Betriebsstörungen.
Wir sind immer wieder überrascht davon, wie positiv sich auch kleine Kläranlagen mit geradezu spartanischer technischer Ausstattung entwickeln können, wenn deren Betreiber diese Zusammenhänge verstanden haben und demzufolge beachten.
Mainz, den 02.11.2020
Anschrift der Verfasser
Kirsten Sölter, Felicitas Schulz
Bioserve GmbH
Rheinhessenstraße 9a
D-55129 Mainz
Tel.: 06131/28 910-16
Fax: 06131/28 910-17
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