Die Verknüpfung verschiedener Vorhersagemodelle macht es möglich, die Auswirkungen von Überschwemmungen präziser vorherzusagen
Extremereignisse wie beispielsweise Hochwasser werden durch den Klimawandel häufiger. Dies verstärkt die Notwendigkeit, Methoden zur genaueren und schnelleren Hochwasservorhersage zu entwickeln, um die Bevölkerung künftig besser zu schützen. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) und des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) hat in der Zeitschrift Nature Communications ein Hochwasservorhersagesystem vorgestellt, das rechtzeitig nicht nur Wasserstände an Pegeln, sondern auch dynamische hochaufgelöste Überflutungskarten bereitstellt. Den Forschern gelang es, verschiedene Vorhersagemodelle so zu verknüpfen, dass die Folgen einer Überschwemmung präzise bis auf das Niveau einzelner Gebäude prognostiziert werden können.
In der räumlichen und zeitlichen Vorhersage von Hochwasserereignissen hat es in den vergangenen Jahren große Fortschritte gegeben. So ist es derzeit möglich, Hochwasserstände an einzelnen Pegeln vorherzusagen. Welche Auswirkungen Überschwemmungen für Städte und Gemeinden vor allem für die Menschen im Unterlauf von Flüssen haben können, konnte bisher allerdings nur grob oder sogar fehlerhaft abgeschätzt werden. Diese Präzision ist jedoch entscheidend, weil die betroffene Bevölkerung möglichst schnell vorab informiert werden muss, um gegebenenfalls Evakuierungsmaßnahmen einzuleiten. „Was es bräuchte, ist ein mit dem neuesten Stand der Technik ausgestattetes Hochwasserfrühwarnsystem, das hochauflösend rechtzeitig Überschwemmungsvorhersagen liefert und angibt, welche Auswirkungen das Hochwasser auf einzelne Gebäude hat“, sagt UFZ-Modellierer Prof. Luis Samaniego, Letztautor des Artikels. Dies würde die Grundlage für das Krisenmanagement entscheidend verbessern.
Für das neue Hochwasservorhersagesystem kombinierten die Forscher der beiden Helmholtz-Zentren in einem ersten Schritt die Niederschlagsvorhersagen des Deutschen Wetterdienstes (NWP limited area ensemble prediction system) mit dem am UFZ entwickelten hydrologischen Modellsystem mHM (mesoscale hydrologic model). Dieses Modell liefert nicht nur Informationen zum Wasserabfluss, sondern auch zum zeitlichen Verlauf der Bodenfeuchte – einer der entscheidenden Faktoren für die Entwicklung von Hochwasser. Anhand der vorliegenden Daten zur Hochwasserkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 gelang es ihnen im Nachgang, anhand eines Ensembles von 20 Vorhersagenmodellen die Höhe der Flutwelle für den Pegel Altenahr stündlich zu prognostizieren. Zudem konnten sie die Wahrscheinlichkeit berechnen, ob ein 50- und ein 100-jährliches Hochwasser eintreten. Die Modellierung ergab, dass 47 Stunden und damit fast zwei Tage vor dem Eintreffen der Flutwelle im Ahrtal 15 Prozent der Modelle ein 100-jährliches Hochwasser prognostiziert hätten. Je näher das Ereignis kam, umso wahrscheinlicher wurde, dass die zu dem Zeitpunkt festgelegte Jahrhundertmarke tatsächlich überschritten wird: So sagten 75 Prozent aller Modelle 17 Stunden vor der Flutwelle das Jahrhunderthochwasser voraus, sieben Stunden davor waren es schließlich 100 Prozent. „Wenn 75 Prozent der Vorhersagen in einem Ensemble ein Jahrhunderthochwasser anzeigen, ist es sehr wahrscheinlich, dass es eintritt“, sagt der UFZ-Modellierer Dr. Husain Najafi, Erstautor der Studie.
Im zweiten Schritt verknüpften die Helmholtz-Forscher das hydrologische Modellsystem mHM mit dem hydrodynamischen Hochwassermodell RIM2D, das das GFZ Potsdam entwickelt hat. RIM2D simuliert in sehr kurzer Zeit die Ausbreitung von Überflutungsflächen und die dynamische Entwicklung von Überflutungstiefen. Erst dieses Modell mit einer räumlichen Auflösung von 10 Meter x 10 Meter macht es möglich, stündlich vorherzusagen, bis zu welcher Höhe das Wasser Flächen überflutet – und damit, in welcher Ortschaft welche Gebäude, Straßen, Eisenbahnstrecken, Krankenhäuser oder sonstige kritische Infrastrukturen wie stark vom Hochwasser betroffen sind. „Zuständige Behörden und Bevölkerung haben so nicht nur Informationen über einen möglichen Pegelstand 30 Kilometer am Flussoberlauf vorliegen, sondern auch eine detaillierte Überflutungskarte, die zeigt, welche Auswirkungen das Hochwasser hat. So könnten sie beispielsweise wissen, wo und welche Personen in Gefahr sein könnten oder wer evakuiert werden muss“, sagt der Hydrologe Dr. Sergiy Vorogushyn vom GFZ.
Für die Rekonstruktion des extremen Hochwasserereignisses im Ahrtal hat das kombinierte Vorhersagemodell des UFZ und des GFZ den ersten Test bestanden. Ab dem Sommer wird die automatisierte Modellkette im Rahmen der Helmholtz-Klima-Initiative in einer weiteren Testphase in zwei weiteren Einzugsgebieten an der Fils und an der Murr in Baden-Württemberg in Echtzeit erprobt. Besteht das Modellsystem auch diese Phase, wäre es aus Sicht der Wissenschaftler für Regionen mit einer erhöhten Hochwassergefahr insbesondere als Folge von Sturzfluten anwendbar. Damit könnte es bestehende Hochwasserfrühwarnsysteme entscheidend ergänzen und den inhaltlichen Horizont der Vorhersagen um die Auswirkungen durch das Hochwasser erweitern. Dies könnte Personen- und Sachschäden künftig erheblich reduzieren.
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