Samstag, Oktober 12, 2024
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Abwasser-Recycling: Landwirtschaft für Design-Dünger grundsätzlich offen

Studie der Universität Hohenheim zeigt: Landwirt:innen akzeptieren aus Bioabfall und Siedlungsabwasser gewonnenen Mineraldünger – sofern er gewisse Bedingungen erfüllt

Landwirt:innen würden neuartigen Dünger aus Bioabfall und Haushalts-Abwasser einsetzen – wenn die Schadstofffreiheit garantiert ist. Denn die Sorge vor Kontaminationen stellt das wichtigste Hindernis dar. Bei einem Teil der Befragten würde ein Preisnachlass die Kaufbereitschaft fördern. Dieses vielschichtige Stimmungsbild ermittelten Forschende der Universität Hohenheim in Stuttgart. Unter Leitung des Agrarökonomen Prof. Dr. Christian Lippert befragten sie 206 Landwirt:innen, unter welchen Bedingungen sie bereit wären, Recycling-Dünger einzusetzen. Die Studie ist Teil des Verbundprojektes „Agrarsysteme der Zukunft: RUN – Nährstoffgemeinschaften für eine zukunftsfähige Landwirtschaft“. Dessen Ziel ist es, regionale Nährstoffkreisläufe zu schließen und Ressourcen nachhaltig zu nutzen.

Angesichts zunehmender Energie- und Ressourcenknappheit wird die künftige Landwirtschaft verstärkt auf Düngemittel zurückgreifen müssen, deren Herstellung keine fossilen Ressourcen benötigt. Die Erzeugung von mineralischen Recycling-Düngern aus häuslichem Abwasser und Küchenabfällen ist hierbei ein vielversprechender Ansatz. Denn elementare Pflanzennährstoffe wie Stickstoff und Phosphor können daraus zurückgewonnen werden.

Wie dieser Ansatz praktisch umgesetzt werden könnte, wird zur Zeit von Wissenschaftler:innen im Rahmen des Verbundprojektes „Agrarsysteme der Zukunft: RUN – Nährstoffgemeinschaften für eine zukunftsfähige Landwirtschaft “ unter Federführung der Universität Stuttgart untersucht. Das Kürzel RUN steht hierbei für Rural Urban Nutrient Partnership.

Online-Befragung erfasst Einstellung der Landwirtschaft zu Design-Düngern
Aus technischer und ökologischer Sicht gilt das Nährstoffrecycling aus häuslichen Abwässern gemeinsam mit Bioabfällen aus der Küche als vielversprechender Weg zur Gewinnung nachhaltig produzierter Mineraldünger. Da diese Dünger an die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Betriebe angepasst werden könnten, werden sie von den Projektbeteiligten als „Design-Dünger“ bezeichnet.

Doch welche Eigenschaften sollten solche Dünger haben, um von den Landwirt:innen auf breiter Basis akzeptiert und gekauft zu werden? Dieser Frage sind Forschende der Universität Hohenheim vom Fachgebiet für Produktionstheorie und Ressourcenökonomik im Agrarbereich nachgegangen und haben in einer Online-Befragung die Einstellung deutscher Landwirt:innen zu diesen neuartigen Mineraldüngern ermittelt.

In einem sogenannten Auswahlexperiment mussten sich die 206 Befragten mehrfach jeweils für einen von drei beschriebenen Mineraldüngern mit unterschiedlichen Eigenschaften entscheiden. So konnten die Forschenden die Zahlungsbereitschaft für entsprechende Düngemittel erstmals auf breiter wissenschaftlicher Basis abschätzen.

Sehr unterschiedliche Akzeptanz wirkt sich auf Zahlungsbereitschaft aus
„Dabei hat sich gezeigt, dass die Einstellungen sehr unterschiedlich sind, was sich zum Teil mit den jeweiligen betrieblichen Gegebenheiten erklären lässt“, sagt Prof. Dr. Lippert. So stellten die Forschenden vor allem bei Betrieben, die ihre Erzeugnisse beispielsweise in Hofläden direkt vermarkten, deutlich größere Vorbehalte gegenüber Design-Düngern fest. Problem ist die Herkunft der Nährstoffe aus Siedlungsabwasser.

Bei Landwirt:innen, die ohne eine solche Direktvermarktung ihre Produkte absetzen, zeigten sich zwar im Durchschnitt auch leichte Vorbehalte gegenüber diesen neuartigen Düngern. Sie würden sie aber mit einem Preisnachlass von etwa zehn Prozent akzeptieren.

Allerdings erwarten nicht alle Landwirt:innen beim Kauf von Design-Düngern einen Preisnachlass: Betriebe, die auch Pflanzen anbauen, die als Futter oder zur Energieerzeugung verwendet werden, würden solche Düngemittel auch zu marktüblichen Preisen abnehmen. Bei ihnen hat die Herkunft der Nährstoffe keinen nennenswerten Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft. Die anpassbare Nährstoffzusammensetzung der Design-Dünger und eine konstante Lieferbarkeit wirken zudem verkaufsfördernd.

Design-Dünger tendenziell geringer mit Schwermetallen belastet als konventioneller Dünger
„Es scheint sogar Landwirt:innen zu geben, die bereit sind, mehr zu zahlen als für entsprechend belastete konventionelle Dünger, falls die Schwermetallgehalte des Design-Düngers deutlich unter den gesetzlichen Grenzwerten für Düngemittel lägen“, so der Experte. Ein Pluspunkt für die aus Abwasser gewonnenen Phosphatdüngemittel: Sie sind tendenziell geringer mit Schwermetallen belastet als herkömmliche Mineraldünger auf Basis von Rohphosphat aus fossilen Lagerstätten.

„Andererseits sinkt die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft für Düngemittel erheblich, wenn mit Medikamentenrückständen oder anderen organischen Schadstoffen gerechnet werden müsste“, fährt Prof. Dr. Lippert fort.

Sorge vor Kontaminationen stellt Hemmnis dar
„Insgesamt deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass eine negative Einstellung der deutschen Landwirt:innen gegenüber Design-Düngern vor allem durch ihre Sorge verursacht wird, dass recycelte Nährstoffe die Produktsicherheit ihrer Lebensmittelkulturen durch Kontaminationen, insbesondere mit organischen Schadstoffen, gefährden könnten“, fasst er zusammen.

Garantierte Schadstofffreiheit ist daher von entscheidender Bedeutung für die Akzeptanz und die Bereitschaft des Agrarsektors, in Zukunft aus Abwässern und Küchenabfällen gewonnene Düngemittel in großem Umfang einzusetzen. Forschende der Universität Stuttgart am Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft (ISWA) untersuchen daher gemeinsam mit ihren Hohenheimer Kolleg:innen vom Zentrum Ökologischer Landbau intensiv die Sicherheit (Schadstoffarmut) der Design-Düngemittel.

„Derzeit gibt es genügend Spielraum für die Einführung von maßgeschneidertem Recycling-Dünger, wenn die damit verbundenen technischen und hygienischen Herausforderungen bewältigt werden können“, so Prof. Dr. Lippert weiter.

Politik ist bei der Markteinführung gefragt
Ein kostendeckendes dezentrales Phosphor-Recycling aus Abwasser erscheint derzeit ohne zusätzliche finanzielle Unterstützung kaum möglich. Der Preisnachlass, den Landwirt:innen für Design-Dünger erwarten, deutet ebenfalls auf die Notwendigkeit von Subventionen hin, wenn Recycling-Dünger in der Praxis breit eingeführt werden sollen.

Andererseits haben Versorgungsengpässe und explodierende Energiepreise, insbesondere nach der russischen Invasion in der Ukraine, in der Europäischen Union ernsthafte Bedenken hinsichtlich der Versorgungssicherheit aufkommen lassen. Dies könnte in Zukunft Anreize für Recycling-Dünger schaffen.

Zudem könnten diese Düngemittel auch durch die Festlegung von Qualitätsstandards und die Schaffung eines vertrauenswürdigen Labels gefördert werden. „Auf diese Weise würden die politischen Entscheidungstragenden das Vertrauen der Landwirt:innen in ein Recycling-Produkt stärken, das das Potenzial habe, zu einem nachhaltigen und kreislauforientierten Landwirtschaftssystem beizutragen“, empfiehlt Prof. Dr. Lippert.

Expertenliste Bioökonomie: https://www.uni-hohenheim.de/expertenliste-biooekonomie

HINTERGRUND: Agrarsysteme der Zukunft: RUN – Nährstoffgemeinschaften für eine zukunftsfähige Landwirtschaft
RUN ist eines von acht Projekten des Forschungsvorhabens „Agrarsysteme der Zukunft“ im Rahmen der „Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“. Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt 5,95 Mio. Euro gefördert, davon über 680.000 Euro für die Universität Hohenheim. Projektstart war der 1. April 2019. Das Projekt war zunächst auf drei Jahre angelegt und wurde um weitere zwei Jahre bis August 2024 verlängert.

Die Koordination des Projekts liegt in der Hand von Dr.-Ing. Anna Fritzsche vom Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft der Universität Stuttgart (ISWA). Weitere Projektpartner sind die TU Kaiserslautern, die Universität Heidelberg, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der Umweltcampus Birkenfeld der Hochschule Trier, die iat Ingenieurberatung für Abwassertechnik GmbH als Praxispartner sowie das Thünen-Institut in Braunschweig als assoziierter Partner.

Projektwebsite mit Erklär-Videos und Comic: https://www.run-projekt.de/