1 Vorbemerkungen
Der Arbeitgeber hat entsprechend der Art der Arbeitsstätte und Tätigkeit der Beschäftigten Maßnahmen zu treffen, die zur Ersten Hilfe erforderlich sind. Ferner hat er dafür zur sorgen, dass im Notfall die erforderlichen Verbindungen zu außerbetrieblichen Stellen, insbesondere in den Bereichen der Ersten Hilfe eingerichtet sind. So schreibt es der § 10 des Arbeitsschutzgesetzes vor.
Dies zeigt schon, dass wir uns mit dem Thema des Ablaufs der Ersten Hilfe für die Mitarbeiter beschäftigen müssen. Ebenso mit der Organisation zum Absetzen eines Notrufs.
In der BG-Vorschrift „Unfallverhütungsvorschrift Grundsätze der Prävention“ (BGV A1) wird in § 8 „Gefährliche Arbeiten“ in Absatz 2 über die Durchführung von gefährlichen Arbeiten durch eine Person alleine Bezug genommen.
Wenn eine gefährliche Arbeit von einer Person allein ausgeführt wird, so hat der Unternehmer über die allgemeinen Schutzmaßnahmen hinaus für geeignete technische oder organisatorische Maßnahmen zu sorgen. Alleinarbeit ist generell nicht verboten! So sind bei Arbeitsplätzen mit alltäglichen Gefährdungen, die dem allgemeinen Lebensrisiko entsprechen und bei denen zu erwarten ist, dass die Person im Notfall selbst handlungsfähig bleibt (zum Beispiel Büroarbeit) keine besonderen Personenschutzmaßnahmen zu treffen. Achtung! Unabhängig von den nachstehenden Ausführungen sind jedoch auch die BG-Regeln zu beachten zum Beispiel BGR 126 (4.1.6.1 Sicherungsposten). Für den vorgesehenen Einzelarbeitsplatz oder die Alleinar- beit ist eine Risikobeurteilung durchzuführen, um gegebenenfalls geeignete technische oder organisatorische Maßnahmen zu treffen. Die nachfolgenden Ausführungen sollen helfen, dieses Risiko zu beurteilen.
2 Alleinarbeitsplatz
Was ist Alleinarbeit oder sind Alleinarbeitsplätze?
Einzelarbeitsplätze sind Arbeitsplätze, an denen eine Person allein außer Ruf- und Sichtweite zu anderen Personen Arbeiten ausführt (Alleinarbeit). Dies trifft somit bei Arbeiten auf Kläranlagen öfters zu, auch wenn sich mehr als eine Person auf der Kläranlage aufhält, zum Beispiel bei größerer Ausdehnung des Betriebsgeländes (Abbildung 1). Besonders jedoch auf kleinen Anlagen, bei Rufbereitschaftseinsätzen und bei Wochenendeinsätzen ist Alleinarbeit ein Thema.
3 Gefährdungsermittlung
Als Grundlage dient die Gefährdungsbeurteilung (§§ 5,6 Arbeitsschutzgesetz). Nach der Gefährdungsermittlung ist es erforderlich, den Einzelarbeitsplatz speziell hinsichtlich des Risikos zu beurteilen. Die Gefährdungsfaktoren ergeben sich aus der Gefährdungsbeurteilung, zum Beispiel:
• mechanische Gefährdungen
• ungeschützt bewegte Maschinenteile
Die Gefährdungsfaktoren können aus der „Leitlinie Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation“ in Anhang 2 „Übersicht der Gefährdungsfaktoren“ entnommen werden. Die Risikobeurteilung erfolgt nun anhand der Einordnung in Gefährdungsstufen sowie der Notfallwahrscheinlichkeit und der Zeit bis zum Beginn von Hilfsmaßnahmen. Zur Ermittlung dienen die Tabellen 1 bis 3. Mit den entsprechenden Ziffern wird dann das Risiko ermittelt und festgestellt, ob Alleinarbeit zulässig ist oder nicht. Bei der Gefährdungsermittlung und der Risikobeurteilung der Arbeitsbedingungen wird empfohlen, die Fachkraft für Arbeitssicherheit, den Betriebsarzt, Sicherheitsbeauftragte sowie die betroffenen Mitarbeiter hinzuzuziehen.
4 Risikobeurteilung
4.1 Beurteilung der Gefährdungsstufen (Ziffern)
Gefährdungsstufen | Erläuterungen | Gefährdungsziffern (GZ) |
gering | Gefährdungsfaktoren (siehe Gefährdungsbeurteilung), die bei der allein arbeitenden Person geringe Verletzungen bzw. akute Beeinträchtigungen der Gesundheit bewirken können. Die Person bleibt handlungsfähig. |
1-3 |
erhöht | Gefährdungsfaktoren, die bei der allein arbeitenden Person erhebliche Verletzungen bzw. akute Beeinträchtigungen der Gesundheit bewirken können. Im Notfall bleibt die Person eingeschränkt handlungsfähig. |
4-6 |
kritisch | Gefährdungsfaktoren, die bei der allein arbeitenden Person besonders schwere Verletzungen bzw. akute Beeinträchtigungen der Gesundheit bewirken können. Im Notfall ist die Person nicht mehr handlungsfähig. |
7-10 |
Tabelle 1: Festlegung der Gefährdungsziffer
Bei der Festlegung der Gefährdungsziffern muss die Handlungsfähigkeit von allein arbeitenden Personen nach einem möglichen schädigenden Ereignis betrachtet werden. Die exakte Zuordnung ergibt sich aus der individuellen Gefährdungsbeurteilung. So kann unterstellt werden, dass zum Beispiel eine handlungsfähige Person sich selbst aus dem Gefahrenbereich begibt und einer Erstversorgung zuwendet. Bei der Beurteilung hinsichtlich der Notfallwahrscheinlichkeit wird bewertet, wie hoch ein Notfall überhaupt konkret auftreten kann. Kommen zwei oder mehr Gefährdungsfaktoren zusammen, ist generell davon auszugehen, dass die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Notfalls höher einzustufen ist. Bei mehr als einem Gefährdungsfaktor der Gefährdungsbeurteilung oder bei einer bestimmten Tätigkeit ist die Bewertungsziffer NW um mindestens 1 Ziffer zu erhöhen.
4.2 Wahrscheinlichkeit eines Notfalls
Notfallwahrscheinlichkeit | Erläuterungen | Bewertungsziffer NW |
gering | Es sind grundsätzlich keine Notfälle zu erwarten, unter ähnlichen Arbeitsbedingungen ist ein Notfall bisher kaum aufgetreten oder vorstellbar. | 1-3 |
mäßig | Erfahrungsgemäß sind Notfälle möglich. Unter ähnlichen Arbeitsbedingungen sind Notfälle gelegentlich aufgetreten. | 4-6 |
hoch | Es ist auch unter normalen Umständen mit Notfällen zu rechnen. Unter ähnlichen Arbeitsbedingungen sind Notfälle wiederholt aufgetreten. | 7-10 |
Tabelle 2: Notfallwahrscheinlichkeit
4.3 Einleitung von Hilfsmaßnahmen
Zeit [Minuten] | Bewertungsziffer (EV) |
weniger als 5 | 0 |
5 bis 10 | 1 |
10 bis 15 | 2 |
Tabelle 3: Bewertung der Zeit bis zum Beginn von Hilfsmaßnahmen am Einzelarbeitsplatz
Unter der Zeit bis zum Einleiten von Hilfsmaßnahmen ist die Zeit zwischen dem Auslösen des Personen-Alarms und dem Beginn von Hilfsmaßnahmen vor Ort zu verstehen.
4.4 Beurteilung des Risikos anhand der Bewertungsziffern
Risiko [R] = (GZ + EV) • NW
mit:
GZ = Gefährdungsziffer
EV = Zeit für Hilfsmaßnahmen
NW = Notfall-Wahrscheinlichkeit
Das Risiko darf die Zahl 30 nicht überschreiten, sonst ist Alleinarbeit nicht zulässig! Um im Alarmfall die oben genannten Zeiten einhalten zu können, müssen betriebsbezogene organisatorische Maßnahmen bis zum Beginn von Hilfsmaßnahmen gewährleistet sein (zum Beispiel Erstversorgung). Beträgt die Zeit bis zum Beginn von Hilfsmaßnahmen mehr als 15 Minuten, ist die Effektivität der Rettungskette nicht gewährleistet und Alleinarbeit bei gefährlichen Arbeiten nicht zulässig.
5 Zusätzliche Konsequenzen durch die Gefährdungsstufen
Gefährdungsstufe gering:
Grundsätzlich ist eine Überwachung der Einzelarbeitsplätze nicht erforderlich.
Gefährdungsstufe erhöht:
Überwachung des Einzelarbeitsplatzes, zum Beispiel durch Kontrollgänge oder Kontrollanrufe erforderlich, wenn die Notfallwahrscheinlichkeit (nach Tabelle 3) nicht höher als mäßig einzustufen ist. Möglichkeit, durch Meldeeinrichtungen Hilfemaßnahmen einzuleiten. Ein Beispiel zeigt Abbildung 2. Ergibt die Einstufung der Gefährdung, dass der Einsatz einer Personen-Notsignal-Anlage nicht erforderlich ist, dann gibt die BG-Information 667 (BGI 667) weitere Hinweise für Alar- mierungsmöglichkeiten an Einzelarbeitsplätzen.
Gefährdungsstufe kritisch:
Eine ständige Überwachung ist erforderlich zum Beispiel durch:
• eine zweite Person,
• Personen-Notsignal-Anlage
• Monitor Allerdings: Alleinarbeit ist unzulässig, wenn zusätzlich die Notfallwahrscheinlichkeit „Hoch“ ist.
6 Ausblick
Der Grundsatz sollte gemäß § 1 BGV A1 sein:
Der Unternehmer hat die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame Erste Hilfe zu treffen.
Sollten Maßnahmen zur Alleinarbeit erforderlich sein, so ist eine zweite Person einer Personen-Notsignal-Anlage vorzuziehen. Bei zeitlich befristetem Engpass der Personallage ist zumindest zu überdenken, ob sich Nachbarschaften nicht im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit aushelfen können.
Bei geplanter Zuhilfenahme von Fremdpersonal, ob Bauhofmitarbeiter oder Feuerwehr, sei darauf hingewiesen, dass gegebenenfalls die arbeitsmedizinischen Untersuchungen und notwendigen Unterweisungen durchzuführen sind.
Bei Einsatz von Personen-Notsignal-Anlagen sollten die Benutzer frühzeitig in den Ablaufprozess mit eingebunden werden. Nur wenn die Geräte ordnungsgemäß benutzt werden, tragen diese zu einem Schutz bei. Die Benutzer, vor allem neue Mitarbeiter, sollten über den Einsatz dieser Geräten unterwiesen werden. Vor jeder Inbetriebnahme muss durch Funktionstest und Sichtprüfung der einwandfreie Zustand der Geräte kontrolliert werden.
Ansprechpersonen, die zu diesem Thema helfen können, sind die Fachkraft für Arbeitssicherheit, der Betriebsarzt und die zuständige Unfallkasse.
Literatur
DGUV (Hrsg.): Leitlinie: Einsatz von Personen-Notsignal-Anlagen bei gefährlichen Alleinarbeiten, Juli 2007
HVBG (Hrsg.): BGI 667, Auswahlkriterien für Einrichtungen zur Einleitung von Rettungsmaßnahmen an Einzelpersonen, Januar 1996
GUV (Hrsg.): BGI/GUV-I 5032 Notrufmöglichkeiten für allein arbeitende Personen, September 2009
HVBG (Hrsg.): BGR 139, Einsatz von Personen-Notsignal-Anlagen, Januar 2004
Autor
Christian Schweizer,
Abwassermeister, Betriebswirt (VWA)
AZV Breisgauer Bucht,
Klärwerk Forchheim
79362 Forchheim, Deutschland
Tel. +49 (0)76 42/68 96-224
E-Mail: schweizer.ch@azv-breisgau.de